Hematologische Krebserkrankungen


Contributor(s)

Written 2000-06-01 Jean-Loup Huret


Abstract

Maligne Hematologische Erkrankungen

Content

Maligne H?matologische Erkrankungen


EINLEITUNG

Maligne hämatologische Erkrankungen werden wie folgt eingeteilt:

  • Nach dem klinischen Verlauf :

  • chronische Leukämien

  • akute Leukämien

  • Nach der Zelllinienzugehörigkeit:

  • lymphatische Zelllinie: B oder T

  • myeloische Zelllinie:

    • chronische myeloproliferative Erkrankungen (CMPE): quantitative Veränderungen des Blutbildes

    • myelodysplastische Syndrome: qualitative Veränderungen des Blutbildes

    • akute myeloische Leukämien (AML, oder akute nicht-lymphatische Leukämien, ANLL)

  • Nach dem Ort der Entstehung:

  • Leukämie: im Knochenmark; schwemmt ins periphere Blut aus

  • Lymphom: im Lymphknoten; schwemmt in Knochenmark und peripheres Blut aus

Zytomorphologie und -chemie (nach der FAB (French-American-British) Klassifikation der Leukämien), Immunphänotyp und Zytogenetik (MIC) erlauben eine spezifische Einteilung.


CHRONISCHE MYELOPROLIFERATIVE ERKRANKUNGEN

Chronische Myeloproliferation : quantitative Veränderungen von Zellen der myeloischen Zellreihe.

Chronische myeloische Leukämie (CML)

  • Maligner monoklonaler Prozess, der eine pluripotente hämatopetische Vorläuferzelle involviert (daher sind die meisten der hämatopoetischen Zellreihen betroffen)

  • Splenomegalie, Leukozytose, Basophilie, unreife Zellen im peripheren Blut (pathologische Linksverschiebung) , niedrige alkalische Leukozytenphosphatase (ALP), hyperzelluläres Knochenmark mit Vermehrung der granulozytären Reihe

  • Prognose: chronische Phase, Übergang in akzelerierte Phase, gefolgt von einer Blastenkrise mit dem Bild einer akuten Leukämie; das mediane Überleben betrug etwa 4 Jahre, bevor geeignete Therapieverfahren zur Verfügung standen

    Chromosomenaberrationen:

  • t(9;22)(q34;q11)

  • verkürzt erscheinendes Chromosom 22, nach dem Ort der Erstbeschreibung Philadelphia-Chromosom (kurz: Ph) benannt

  • führt zur Zusammenlagerung (eines Teils) eines Onkogenes, ABL, lokalisiert in 9q34, mit einem (Teil eines) anderen Onkogens, BCR (breakpoint cluster region), in 22q11 --> Entstehung eines neuen, hybriden 5' BCR-3'ABL-Gens

  • das normale ABL-Gen wird in eine 6-7kb m-RNA transkribiert und in ein 145 kDa Protein translatiert, eine Tyrosinkinase

  • das aus der Translokation t(9;22) resultierende hybride BCR-ABL-Gen wird zumeist in eine 8,5 kb m-RNA translatiert und in ein 210 kDa Protein transkribiert, das im Vergleich zum ABL-Protein folgende Charakteristika hat: 1) vermehrte Proteinkinaseaktivität 2) erhöhte Halbwertszeit

  • In einem Teil der Fälle kommen variante Translokationen vor; ein drittes Chromosom kann beteiligt sein (z.B.: t(1;9;22)); eine Beteiligung von Chromosom 9 oder 22 kann maskiert sein (z.B.: t(12;22)); sogar ein normaler Karyotyp kann vorliegen ("Ph-negative CML"); in allen diesen Fällen ist immer das hybride BCR-ABL-Gen vorhanden (andernfalls ist es eher KEINE CML!)

  • die Translokation t(9;22) ist für die CML spezifisch; aber sie ist nicht pathognomonisch, da sie auch bei ALL und AML gefunden werden kann

  • zusätzliche Aberrationen : meistens erst in der Blastenkrise vorhanden, können aber auch bereits in chronischer Phase vorkommen; hauptsächlich: +Ph, und/oder +8, und/oder i(17q), und/oder +19, und/oder -7; zeigen klonale Evolution an

Andere chronische myeloproliferative Erkrankungen

    Chromosomenveränderungen:

  • bei Erstdiagnose selten: del(20q), +8, +9, del(13q), oder partielle Trisomie 1q

  • häufiger bei Transformation in akute Leukämie: für AML oder sekundäre Leukämien typische Veränderungen (siehe unten)


MYELODYSPLASTISCHE SYNDROME (MDS)

  • Dysmyelopoese: qualitative Veränderungen der myeloischen Zellreihen

Klassifikation nach FAB:

  • Refraktäre Anämie ohne Blastenüberschuss (RA)

  • Refraktäre Anämie mit Blastenüberschuss (RAEB)

  • Refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten (RARS)

  • chronische myelomonozytäre Leukämie (CMML)

  • Daneben: sekundäre MDS (siehe sekundäre akute Leukämien)

    Chromosomenaberrationen :

  • del(5q)(oder -5, gleichbedeutend)

  • del(7q) (oder -7, gleichwertig)

  • +8

  • verschiedene Struktuveränderungen von: 11q, 12p, oder Chromosom 3


AKUTE MYELOISCHE LEUKÄMIE (AML)

oder akute nicht-lymphatische Leukämie (ANLL)

  • massive Proliferation myeloischer Vorläuferzellen

  • Chromosomenveränderungen haben prognostische Bedeutung

Klassifikation nach FAB:

  • M0 : myeloblastisch ohne Ausreifung

  • M1 : myeloblastisch mit geringer Ausreifung

  • M2 : myeloblastisch mit Ausreifung

  • M3 : promyelozytär

  • M4 : myelomonozytär

  • M5 : monozytär

  • M6 : Erythroleukämie

  • M7 : megakaryoblastisch

Wichtigste Chromosomenaberrationen:

  • t(15;17)(q25;q21) : pathognomonisch für AML, M3; Gene PML und RARA; im Vergleich zu anderen AML-Subtypen günstige Prognose, solange DIC verhindert und nach aktuellen Protokollen behandelt wird (Differenzierungstherapie)

  • inv(16)(p13q22): pathognomonisch für AML, M4, mit Knochenmarkseosinophilie (AML, M4Eo); Gene MYH11 und CBFB; günstige Prognose: medianes Überleben ca. 5 Jahre

  • t(9;22)(q34;q11): selten bei AML; meisten M1 oder M2; BCR-ABL bei der Hälfte der Fälle wie bei CML (BCR-ABL-Protein von 210 kDa, P210BCR-ABL), Bruch in unterschiedlichen Regionen des BCR-Gens bei der anderen Hälfte mit 7-7,5 kb m-RNA, und Produktion eines BCR-ABL-Proteins von 190 kDa (P190BCR-ABL) mit stärkerer Transformationskapazität als P210BCR-ABL; sehr ungünstige Prognose

  • t(6;9)(p23;q34) : niedrige Spezifität; oft mit Basophilie assoziiert; Gene DEK and CAN; ungünstige Prognose

  • 3q21-Rearrangements : assoziiert mit Thrombozytose; sehr ungünstige Prognose

  • 11q23 Rearrangements (M4, M5, biphänotypische akute Leukämie) darunter am häufigsten t(9;11)(p22;q23)


SEKUNDÄRE AKUTE LEUKÄMIE

  • induzierte Leukämien: Leukämie nach vorausgegangener zytostatischer und/oder strahlentherapeutischer Behandlung ("Therapie-assoziiert"), oder Leukämie nach beruflicher Exposition gegenüber karzinogenen (genotoxischen) Substanzen oder physikalischen Agentien

  • sehr ungünstige Prognose

Chromosomenaberrationen : häufig, oft komplex:


AKUTE LYMPHATISCHE LEUKÄMIE (ALL)

  • Rapide Proliferation und Akkumulation von lymphatischen Vorläuferzellen der B- oder T-Zellreihe,

  • die Immunphänotypisierung ist die Voraussetzung zur Abgrenzung von der AML, FAB M0, und erlaubt die Bestimmung der Zellreihe, die in den malignen Prozess involviert ist, sowie des Differenzierungsgrades der Leukämiezellen.

  • die Zytomorphologie unterscheidet ALL, FAB L1 und L2, sowie L3 mit grossen Zellen vom Burkitt-Typ

  • --> die MIC-Klassifikation (Morphologie, Immunphänotyp, Zytogenetik) erlaubt unterschiedliche Krankheitsentitäten mit einer bestimmten Prognose zu unterscheiden

  • die ALL tritt gehäuft im Kindesalter auf

Wichtigste Chromosomenaberrationen:

  • t(4;11)(q21;q23) : unreife (CD19+, meist CD10-) B-Vorläuferzelle; tritt oft bei Kindern auf, speziell Säuglingen (kongenitale Leukämie, < 1. Lebensjahr); sehr ungünstige Prognose (medianes Überleben <1 Jahr); Stammzelltransplantation Therapie der Wahl; Gene MLL in 11q23 und AF4 in 4q21

  • andere 11q23-Anomalien; MLL -Rearrangements und gemeinsame klinische Profile

  • t(9;22)(q34;q11) : B-Vorläuferzelle; sehr ungünstige Prognose; auf molekularer Ebene: ABL and BCR ; P210 bei einem Drittel der Fälle, P190 bei zwei Drittel.

  • t(8;14)(q24;q32) und die varianten Translokationen t(2;8)(p12;q24) und t(8;22)(q24;q11): t(8;14) am häufigsten; quasi pathognomonisch für die reife B-ALL vom Burkitts Typ (L3 Morphologie der Blasten); ursprünglich sehr ungünstige Prognose wurde mit neuen Therapieprotokollen deutlich verbessert; MYC in 8q24; Immunoglobulin-Schwerketten(IgH)in 14q32, oder -Leichtketten kappa (IgK)in 2p12 and lambda (IgL) in 22q11; durch die Translokationen kommt das MYC-Gen unter die regulative Kontrolle von Sequenzen, die die Transkription von Immunglobulingenen stimulieren (in der B-Zelllinie aktiv); es resultiert eine MYC Überexpression.

  • t(11;14)(p13;q11), t(8;14)(q24;q11) und t(10;14)(q24;q11) : T-ALL; zu der Immunglobulin superfamily gehörende T-Zell-Rezeptor-Ketten (TCR delta und alpha)in 14q11; RBTN2 in 11p13, HOX11 in 10q24, und MYC in 8q24; analog zur o.a. Translokation kommen die betreffenden Onkogene unter die in der T-Zelllinie aktive transkriptionelle Stimulation der TCR-Gene, was zur Überexpression führt.

  • del(6q) , 9p-Veränderungen , 12p-Veränderungen , Nahezu-Haploidie, Hyperdiploidie (Hyperdiploidie <51 ; Hoch-Hyperploidie > 50 mit äusserst günstiger Prognose bei Kindern) sind weitere typische Chromosomenbefunde bei ALL.


NICHT HODGKIN'S LYMPHOME

  • unterschiedliche Einteilungen mit zahlreichen Kategorien gemäß Zell- und Gewebsmorphologie in Korrelation mit der Prognose sind in Gebrauch (niedrig und hochmaligne) (siehe auch Klassifikation der Nicht Hodkins Lymphme).

  • die chronische lymphatische Leukämie wird von Hämatologen als Leukämie und von den Pathologen als niedrig malignes Nicht Hodgkins Lymphom angesehen.

    Chromosomenaberrationen:

  • +12, 14q32 Veränderungen , del(6q) , 13q Veränderungen, del(11q), +3, +18 , Markerchromosomen; oft auch als Zusatzaberrationen.

  • Nicht Hodgkins Lymphome (NHL)

    Chromosomenaberrationen:

  • t(14;18)(q32;q21) : typisch für kleinzellige B-Zelllymphome; BCL2 (B cell lymphoma 2) in 18q21, Gen der BCL2/BAX Familie, beteiligt an der Inhibition/Induktion von Apoptose ("programmierter Zelltod"), Immunglobulin-Schwerketten (IgH) in 14q32; BCL2 (Protein der inneren Mitochondrienmembran) kommt in Folge der t(14;18) unter die regulative Kontrolle von Sequenzen, die die Transkription von Immunglobulingenen stimulieren (in der B-Zelllinie aktiv); es resultiert eine BCL2 Überexpression.

  • Andere 14q32-Veränderungen: t(11;14)(q13;q32) ist typisch für Mantelzelllymphom

  • 14q11-Veränderungen: T-Zelllymphome; TCR alpha und delta (T-Zell-Rezeptor) in 14q11; ein im Bruchpunkt des Partnerchromosoms gelegenes (Onko)Gen wird überexprimiert, indem es unter die Kontrolle der Transkription-stimulierend TCR-Sequenzen gerät.

  • zahlreiche weitere Veränderungen; multiple und komplexe Anomalien sowie Markerchromosomen sind häufig beim NHL.


Wichtigste Chromosomenanomalien bei hämatologischen Neoplasien

        
 

        

Tisch 1.

1

#1-Rearrangements

verschiedene

2

t(2;8)(p12;q24)

Burkitts NHL/ALL

4

t(4;11)(q21;q23)

ALL

5

del(5q), -5

MDS, AML, Sekund. Leuk.

6

del(6q)

ALL, CLL, NHL

7

del(7q), -7

MDS, ANLL, Sekund. Leuk.

8

t(2;8)

s. Chromosom 2

 

t(8;14)(q24;q32)

Burkitts ALL/NHL

 

(8;14)(q24;q11)

T-ALL

 

t(8;21)(q22;q22)

AML, M2

 

+8

verschied., myeloisch

9

t(9;22)(q34;q11)

CML, AML, ALL

 

del(9p)

ALL

 

+9

verschiedene

11

t(4;11)

s. Chromosom 4

 

t(11;14)(p13;q11)

T-ALL

 

t(11;14)(q13;q32)

NHL

 

del(11q)

MDS, AML, CLL

12

+12

CLL, NHL

 

t(12;21)(p12;q22)

ALL

13

del(13q)

verschiedene

14

t(8;14)

s. Chromosom 8

 

(11;14)

s. Chromosom 11

 

t(14;18)(q32;q21)

NHL

 

inv(14)(q11q32)

T-lymphatisch

15

t(15;17)(q22;q12)

AML, M3

16

16q22-Rearrangement

AML, M4

17

t(15;17)

s. Chromosom 15

 

i(17q)

CML

18

t(14;18)

s. Chromosom 14

20

del(20q)

myeloisch

21

t(8;21)

s. Chromosom 8

 

t(12;21)

s. Chromosom 12

22

t(8;22)

s. Chromosom 8

t(9;22)

s. Chromosom 9

Andere

Hypoploidie

Sekund. Leuk., ALL

 

Hyperploidie

Sekund. Leuk., ALL, NHL

 

Marker

Sekund. Leuk., CLL, NHL


Eine komplette Liste, siehe LIST of CYTOGENETIC / CLINICAL ENTITIES in HAEMATOLOGY


Fig. 1

Deutsche \334bersetzung : Harald Rieder, mit Unterst\374tzung von Kompetenznetz Leuk\344mien / Bundesministerium f\374r Bildung und Forschung


Citation

Jean-Loup Huret

Atlas of Genetics and Cytogenetics in Oncology and Haematology 2022-05-17

Hematologische Krebserkrankungen

Online version: http://atlasgeneticsoncology.org/teaching/209050/hematologische-krebserkrankungen